TEX RUBINOWITZ
Literatur, Cartoons, Pop: Alles fließt bei Tex Rabinowitz
Erstausstrahlung im ORF: 24. März 2025
Erstveröffentlichung auf ORF Topos: 17. März 2025
Als Witzezeichner, Sammler skurrilen Wissens und Spezialist für Popkultur ist Tex Rubinowitz aus der heimischen Literatur nicht mehr wegzudenken. Seit seinem Sieg beim ›Bachmannpreis‹ 2014 tritt er verstärkt als Autor höchst unzuverlässig erzählter Literatur auf. Seine vielfältigen Interessen und Ausdruckmöglichkeiten sind für ihn nicht zu trennen: »Es ist ein Fließen – es gibt keinen Plan«, sagt er im ›Archive des Schreibens‹-Gespräch über seinen kreativen Prozess.
Sein aktueller Story-Band »Dreh den Mond um« steht stellvertretend für Rubinowitz’ Erzählverfahren. In der ersten Geschichte »Seksuele Genezing« leidet der Ich-Erzähler an einer ungewöhnlichen Form von übersteigerter Wahrnehmung. Er ist an »Bozeman’s simplex« erkrankt – ein erfundenes Leiden, das ursprünglich aus David Lynchs Serie »On the air« stammt – und sieht deshalb zu viele Details, die er dann aber nicht mehr richtig verarbeiten und zuordnen kann. Das Paradoxon ist ein fixer Bestandteil im Humorinventar von Rubinowitz.
Der Ich-Erzähler wird schließlich mit Jod behandelt, was seine Bildwelt mit einem unangenehmen Farbschleier belegt: »Ganz davon abgesehen, dass sich vor das Bild und die vielen anderen, zusätzlich übereinandergeschichteten Bilder, die ich nach wie vor sah und die an eine überforderte Cortex weitergegeben wurden, ein hellbräunlicher Schleier legte wie eine nikotingelbe Gardine, Ocker gar, Ocker als generelle Verliererfarbe – du kannst nicht siegen in Ocker, mein Freund.«

Pop-Geschichte trifft Fabulierungskunst
Der Ich-Erzähler fährt schließlich zur Genesung ins belgische Ostende – und liefert im Verlauf der Handlung dem schon reichlich heruntergekommenen und an einer Kokainabhängigkeit laborierenden Soul-Star Marvin Gaye Inspiration zum Text seines letzten Welt-Hits »Sexual Healing«.
Die Geschichte hat, wie alles, was Rubinowitz schreibt (so zumindest seine Selbstauskunft), einen wahren Kern: Um die Tantiemen des Songs gab es wirklich einen Urheberrechtsstreit, der Musikjournalist David Ritz, der mit Gaye befreundet war, lieferte diesem wirklich in den 1980ern in Ostende Teile der Lyrics. Doch erst Rubinowitz Fabulierkunst macht aus dem historischen Detail die Geschichte eines ockersehenden Antihelden.

Schulversagerflucht an die Kunstuni
Das Bild des Antihelden pflegt Rubinowitz, der als Dirk Wesenberg 1961 in Hannover zur Welt kam, auch rund um seine Person: Seine selbst erzählte Berufsbiografie im ›Archive des Schreibens‹-Gespräch klingt wie ein Märchen der 1980er Jahre. Aufgewachsen in der norddeutschen »Puppenstubenstadt« Lüneburg habe er als 16-jähriger dermaßen schlechte Noten produziert, dass er die Schule abbrechen musste.
Und da »die Kunstakademien die einzigen« seien, »die Versager aufnehmen«, habe er sich eben in Wien an der Universität für Angewandte Kunst beworben, wo er aber beim Südtiroler Maler Oswald Oberhuber – so eine weitere Selbstauskunft – nur eine Woche studierte. Ebenfalls beworben habe er sich damals mit Cartoons bei der Wiener Wochenzeitung ›Falter‹, eine künstlerische Ausdrucksform, für die er berühmt wurde.
Rubinowitz schrieb einmal von sich selbst, er möge es, unterschätzt zu werden – und so gibt er sich auch zu seinem kreativen Prozess gekonnt tiefstapelnd: »Ich sehe, das vieles nicht gesteuert ist, was ich mache«, sagt er im ›Archive des Schreibens‹-Gespräch. »Ich habe Erlebnisse, das wird abgespeichert und muss dann irgendwie raus«.
Als das Internet zu Literatur wurde
Abgespeichert hat Rubinowitz eine ungeheure Menge von Fakten, die man despektierlich als »unnützes Wissen« abtun könnte – aber eben auch als Rohstoff um Welt und Leben in Kunst zu verwandeln. Schon in seinen beiden Listen-Bücher »Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen« (1996) und »Die sieben Plurale von Rhabarber« (2013) belegen das humoristische Verdichten von ausuferndem Wissen zu Behauptungen, bei denen Fakt und Fiktion nicht mehr zu entwirren sind.
Seine Schreibschule, so Rubinowitz, sei das von ihm 1999 gegründete Forum ›Wir höfliche Papaparazzi‹ mit dem Motto »Seid höflich und beschreibt genau« gewesen. Darin berichteten die Autoren von Zufallsbegegnungen mit Prominenten, bei denen man sich höflicherweise von der Bewunderung nichts anmerken lassen wollte. Das Thema beschäftige Rubinowitz auch in seinem Roman »Ramses Müller«, in dem wiederum zwei Anti-Helden in einem Club Benjamin von Stuckrad-Barre kennenlernen – oder vielmehr einen, der vorgibt, jemand zu sein, der ständig mit dem berühmten Popautor verwechselt wird.
Der ›Ingeborg-Bachmann‹-Preisträger von 2014 ist soetwas wie ein großer literarischer Zeitzeuge des Zeitpunkts, an dem in den 2000er Jahren aus einer Mischung aus hypertrophen Faktenwissen und zur Schau gestellter Ironie Literatur wurde. Zugleich war Rubinowitz auch ein wesentlicher Protagonist dieses Phänomens: Etwa als Autor des stilprägenden kollaborativen Blogs riesenmaschine.de oder im Roman »Irma« (2015), in dem eine aufgewärmte vergangene Liebesbeziehung ganz selbstverständlich mit einer Facebook-Freundschaftsanfrage beginnen darf.
Video: Alice Pfitzner (Gestaltung), Bernhard Höfer (Kamera), Yannick Kurzweil (Produktion)
Text: Florian Baranyi
alle für ORF Topos
Links
Tex Rubinowitz im Ventil Verlag
Tex Rubinowitz im Rowohlt Verlag
Tex Rubinowitz im Falter Verlag
Höfliche Paparazzi
Tex Rubinowitz’ ›Archive des Schreibens‹-Playlist
Bonnie Guitar: »Candy Apple Red«
Television Personalities: »You're My Yoko«
Momus: »Erase«
Psychic TV: »The Orchids«
Eri Esittäjiä: »Valo Yössä«