Birgit Birnbacher und die Umwege zum Schreiben
Erstausstrahlung im ORF: 18. November 2024
Erstveröffentlichung auf ORF Topos: 26. November 2024
»In meiner Kindheit gab es das Wort Schriftstellerin nicht«, erzählt die Salzburger Autorin Birgit Birnbacher über die Welt ihrer Herkunft, in der jeder eine praktische Funktion zu haben hat. In der Serie »Archive des Schreibens« entsteht dabei ein Porträt einer Frau, die sich ihre Aufgabe, zu schreiben, über Umwege erkämpfen musste. Doch die Umwege haben den Blick geschärft: auf die Randzonen des Ich und die Randzonen der Gesellschaft.
»Der geradlinige Lebenslauf ist nicht so mein Spezialgebiet«, sagt die 1985 in Schwarzach im Pongau geborene Autorin und Bachmannpreis-Trägerin Birgit Birnbacher im Porträt von Imogena Doderer, das eine Frau ins Bild setzt, die sich ihre Lebensberufung hart erkämpft hat. Die Pferde habe sie in ihrem Leben jedenfalls immer von hinten aufgezäumt, räumt sie mit Blick auf ihre Laufbahn ein: Zuerst mit 15 die Schule abgebrochen, dann mit 30 erst einen Uni-Abschluss gemacht. Und dazwischen habe sie mit behinderten Menschen gearbeitet, sei dann als Sozialarbeiterin aktiv gewesen, bevor sie ein Studium, unter anderem der Soziologie, begonnen habe. Dass sie in ihren Texten gerade jene in den Blick nimmt, die von der Gesellschaft stehen gelassen werden oder sie sich selbst so erleben, verwundert bei diesem Karriereweg nicht.
In der österreichischen Kindheit sei einem vieles so Fremd, erzählt Birnbacher von ihren Lebenseindrücken, für die ein zentrales Moment zählt: »Was verhandeln die Erwachsenen eigentlich in den Momenten, wo sie nichts sagen?« Genau an diesem Punkt des Schweigens und oft auch verschämten Wegschauens beginnen ihre Texte, die mitunter den Mut auch zur kargen Beobachtung haben und dort nachfragen, wo in der Herkunftswelt alles selbstverständlich und geordnet scheint. Auf dem Land leben heißt bei Birnbacher nicht zuletzt, mit den ungeklärten Fragen zu existieren und sich an ihnen zu weiden. Das ist der Antrieb in der kargen Welt. Das macht auch ihr letzter Roman »Wovon wir leben« deutlich, ohne je mit dem Finger hinzuzeigen.
»Was wird eigentlich verhandelt, wenn die Erwachsenen schweigen?«
(Birgit Birnbacher)
»Ich habe die Leute bei uns auf dem Dorf immer schon irgendwie als Figuren wahrgenommen«, sagt Birnbacher, fügt aber bald hinzu, dass sie das nicht abwertend meine, sondern damit nur ein Gefühl eines nicht Dazugehörens ausdrücken will. »Wahrscheinlich hat mir in meiner Jugend eine Person gefehlt, die mich an der Hand nimmt und mir zeigt, dass man etwas mit Leidenschaft machen darf« – in einer Gegend, in der das Funktionieren groß geschrieben wird.
Dazwischen steht der Tennenstock
Julia Noch heißt die Heldin ihres jüngsten und wie immer klar und ökonomisch erzählten Buches, die zurückgeschickt wird an den Ort ihrer Kindheit, nachdem sie den Job »in der Stadt« verloren hat – und wieder in eine Welt zurück muss, in der das Gesetz des Vaters gilt (und die Mutter verschwunden ist). Es ist durchaus ein Risiko, eine junge Frau in einem literarischen Text ins Innergebirg zu schicken. Man muss ja durch Tunnel durch, durch den Tennenstock – und muss damit auch an den Erkundungen dieser Landschaft bei Thomas Bernhard vorbei.
Bernhards Roman »Frost« und der Weg mit den vor Schlaf erschöpften Pendlern, die sich im Zug irgendwie durch das Skylla und Charybdis des Pass Lueg durchdrücken, hat ja nicht zuletzt der Gegend zwischen Goldegg, Schwarzach und St. Veit alles andere als ein schmeichelhaftes Denkmal gesetzt. Bernhard hat sich mit »Frost« seine Position in der Gegenwartsliteratur erschrieben. Und er hat die Literatur-Landschaft mitcodiert samt der Kälte, die durch das Gemeinwesen durchwirkt.
Dass es eine verdichtete Kunstlandschaft ist, macht die Sache für die Gegenwart nicht einfacher, auch wenn Birnbacher in ihrem Roman die Ortsnamen ausspart – und dabei die Orte aber erneut sehr wiedererkennbar macht. Die Übermacht von Bernhard schiebt sie freilich unbekümmert beiseite: »Ich bin nun einmal in der Gegend aufgewachsen, die Thomas Bernhard besonders gehasst hat.«
»›Zu Hause‹ im Innergebirg, das von der Stadt kilometermäßig bloß eine Autostunde entfernt gewesen wäre, zugleich aber durch ein Bergmassiv und vier Tunnel abgetrennt ist, habe ich lange nicht davon geträumt, eines Tages in der Stadt zu leben. Träumen stand nicht auf dem Plan. Irgendetwas werden stand auf dem Plan, und ginge es nach den Eltern, wäre ich damals, nach dem Absolvieren der Pflichtschule und der Bürolehre im Autohaus, bereits genug ›geworden‹. Man muss zufrieden sein.
(Ausschnitt aus »Wovon wir leben«)
Die Ökonomie der Beobachtung
Womit Birnbacher ihre Stellung in der Gegenwartsliteratur untermauert, ist die Klarheit der Erzählung, die Ökonomie der Beobachtung – und das Zusammenziehen von Beobachtung, Erzählung und Kommentar, oftmals auf der Satzebene. Ihr letzter Roman ist mitunter so schonungslos, wie die Leute, die er beschreibt. Atem und Arbeit nennt Birnbacher die zwei bestimmenden Themen des Textes. Und es sind Themen, die für sie gerade durch die Herkunft und die Ökonomie des Erzählens nur in dieser Landschaft, vielleicht dann doch auch wegen der literarischen Vorbilder, angesiedelt sein können. Das, was man bei ihr als Lakonie oder Kargheit bezeichne, komme aus der Erziehung in einer Gegend, in der das ›Zuviel‹ nie zulässig gewesen sei. »Ich habe das schon so erlebt, dass jegliche Art von Genuss eigentlich nicht erwünscht ist«, beschreibt Birnbacher das Lebensgefühl im Innergebirg ähnlich wie ihre Heldin: »Man soll nach außen hin ein gelingendes Leben haben, aber es soll nicht zu schön sein oder darin Genuss vorkommen. Es soll so sein, dass es niemanden aufregt. Die Genussfreude oder die Leidenschaft wurden als Werte nicht an die Aufwachsenden weitergetragen.«
»Entlang der kurvigen Bundesstraße werden die Kreuze, die an die Verkehrstoten erinnern, mehr. Die hässlichen Schriften auf den Firmengebäuden: Autoteile, Reifen, Farben, Lacke. Alles ist zweckmäßig. Jeder Anflug von Schönheit ist schwul, alles Liebe weinerlich.«
(Ausschnitt aus »Wovon wir leben«)
Wenn Sprache schön sein will, ist sie sofort nicht mehr schön
Aus der Liebe zu der kargen Sprache, wie sie sie im Salzburger Innergebirg gelernt habe, entstehe ein für ihr Schreiben wichtiges Moment. So wie im Dialekt oft viel mehr gemeint sei als ausgedrückt würde, gehe es ihr mit der Übersetzung dieses Österreichischs in eine Form von Literatursprache. Sprache ist karg, präzise, meine aber durch den spezifischen Sound, den sie nun einmal habe, immer viel mehr als sie auf Wortebene ausdrücke. »Ich muss den österreichischen Tonfall in die Sprache mitübertragen«, sagt Birnbacher. Das komme vielleicht als Lakonie herüber: »Das Österreichische ist ja immer so ein abdekoriertes Deutsches. Mir ist wichtig, dass Sprache keine Pirouetten dreht.«
Durch Birnbachers Texte schimmert immer die Sprachanwendung des Kollektivs hindurch. Was bei Willam Faulkner als unbewusster Diskurs einer Allgemeintheit noch kursiv gesetzt wird, hebt sie nicht mehr extra hervor. Die Sprache der Einzelnen und der Diskurs aller zerrinnen ineinander. Birnbacher hat kein bitteres Buch geschrieben, auch kein versöhnliches. Es ist ein Buch der Wiedererkundung – und des Akzeptierens einer Wertekultur, die – wenn man sie als Rucksack für das eigene Leben mitnimmt – ein bisschen leichter zusammengepackt und -geschnürt werden darf. Die Liebe zum Innergebirg bleibt dabei eine seltsame Faszination, so als könnte das Glatteis eine Gänsehaut bekommen.
Video: Imogena Doderer/ORF TV-Kultur (Gestaltung), Rosanna Stark (Kamera), Yannick Kurzweil (Produktion)
Text: Gerald Heidegger/ ORF Topos