Protest, Parodie und Slam
Erstausstrahlung im ORF: 1. August 2022
Erstveröffentlichung auf ORF Topos: 28. November 2022
Poetry-Slamer, Protestsongschreiber, Bachmann-Preis-Publikumsliebling und Publikationszeitpunktgewinner des letzten Herbstes: Der 1994 geborene Elias Hirschl besticht durch seine Vielfältigkeit und seinen Humor und ist dabei, sich in die erste Reihe der heimischen Gegenwartsliteratur zu schreiben.
In seinen Texten verarbeitet Hirschl meist aktuelle gesellschaftskritische Themen auf bestrickend-witzige Weise. Neben dem österreichischen Bundesheer und der katholischen Kirche geht er auch auf das tagespolitische Weltgeschehen ein. Dabei greift er nicht nur den US-Präsidentschaftswahlkampf von Donald Trump 2016 auf. Sein jüngster Roman »Salonfähig« (2021) galt bereits bei Veröffentlichung als direkter Seitenhieb auf den damaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Während dessen »Schritt zur Seite« wurde der Roman im Ausland als »Ösierklärbuch« der Stunde gefeiert – das deutsche Feuilleton überschlug sich vor positiver Fürsprache. Die Irish Times ortete in dem Roman, der um einen Anhänger des skrupellosen Julian Vargas kreist, welcher es durch Taktik und Täuschung zum Bundeskanzler bringt, »eine auf brutale Weise unterhaltsame Mischung aus ›American Psycho‹ und dem US-Drama ›Alles über Eva‹«.
Eingeweihten der Poetry-Slam-Szene war Hirschl damals freilich schon längst ein Begriff. Sehr ernst verarbeitet Hirschl etwa in seinem Slam-Text »Hopp auf« seine persönliche Familiengeschichte rund um seinen oberösterreichischen Großvater. Persönliches findet generell öfter den Weg in seine Texte: Die Erlebnisse aus seiner Zivildienstzeit prägen auch das Buch »Hundert schwarze Nähmaschinen« (2017), das auch auf Tschechisch übersetzt wurde.
Jelinek, Brezina und das Internet
Der Zugang zum Literaturbegriff – er ist bei diesem Autor verspielt und umfassend: Selbst negative Amazon-Buchrezensionen halten Einzug in seine Lyrik. Auch vor bekannten österreichischen Literaturgrößen macht Hirschl nicht halt. Im Text »Das Schlossgespenst im Gespensterschloss« rezitiert er etwa den fiktiven Briefwechsel der beiden Nachbarn Elfriede Jelinek und Thomas Brezina über die neueste Kinderbuchidee.
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Denkt man an seinen Auftritt zuletzt beim Bachmann-Preis, als er nach der Lesung seines Textes »Staublunge« gelangweilt auf dem Lesetisch liegend das Juryurteil erwartete, macht sich der Eindruck breit, der Autor könne kein Wässerchen trüben. Wirft man einen Blick hinter seine Textstrategien, so muss man ihm doch attestieren, mit allen Wassern gewaschen zu sein. Im ORF-Interview erklärt er, dass er etwa eine Szene aus Bret Easton Ellis Kultklassiker »American Psycho«, die von David Foster Wallace parodiert wurde, noch einmal parodiert habe – um Hirschls Geburtsjahr erhob die Literaturtheorie solche Pastiches zur hohen ironischen Kunst des postmodernen Romans.
Schreiben nach Regeln
Auch die Vereinigung OULIPO (L’Ouvroir de litterature potentielle, etwa: Werkstatt für potenzielle Literatur), die seit den 1960er Jahren literarische Experimente unternimmt, bei denen Texte nach vordefinierten Regeln entstehen, darf Hirschl mühelos als Referenz dienen.
OULIPO-Mitglied George Perec schrieb etwa 1969 den Roman »La Disparition« (Deutsch: »Anton Voyls Fortgang«), der ohne eine einzige Verwendung des Vokals »e« auskommt. Hirschl lies sich davon zum Slam-Text »Als Anna Clara traf« inspirieren, der ausschließlich den Vokal »a« verwendet.
Einen Anspruch auf die Neuerfindung der deutschsprachigen Literatur maßt er sich dabei allerdings nicht an. Vielmehr versucht Hirschl, seinem kreativen Fluss freien Lauf zu lassen und sich auszuprobieren. Dabei bedient er sich auch gerne aus dem Internet, einem, wie er im ORF-Interview sagt, »Sammelort für Textflächen, die ungenützt vor sich hin schimmeln«.
Musik und Text von Wien bis Taipeh
Fast zeitgleich zu seinen ersten Poetry-Slam-Auftritten nahm Hirschl auch am FM4-Protestsongcontest teil. Mit seiner Band ›hirschl‹ errang er 2011 den vierten Platz. Im folgenden Jahr veröffentlichte ›hirschl‹ auch das Debütalbum »Alles ist okay«. Nach zwei weiteren Auftritten beim FM4-Songbewerb wurde Hirschl 2016 schließlich selbst zum Jurymitglied. Seit 2020 tritt er gemeinsam mit dem Rapper Selbstlaut als das Musikduo ›Ein Gespenst‹ auf.
Seine Mehrfachbegabung für Musik und Literatur führte Hirschl schließlich auch bis nach Asien. Rechtzeitig vor Beginn der Pandemie unternahm er gemeinsam mit dem Musiker Jimmy Brainless 2017 und 2019 noch eine zwei- und eine einmonatige musikalisch-literarische Reise zu meist deutschsprachigen Instituten unter anderem in Peking, Schanghai, Seoul und Taipeh.
Video: Alice Pfitzner (Gestaltung), Marcus Walter (Kamera), Yannick Kurzweil (Produktion)
Text: Lena Sinzinger und Florian Baranyi/ ORF Topos (leicht aktualisiert im Sommer 2024)